Wenn alles Kopf steht, ist ein Perspektivenwechsel selbstverständlich und wo ist das einfacher als in Down Under? Auf dem Weg nach Australien war der erste Stop Kuala Lumpur. Da ich Asien bereits mehrfach bereist habe, gab es keine großen Überraschungen oder besonders exotische Entdeckungen für mich. Auch finde ich, dass alle Städte gleich funktionieren. Meine innere Sicherheitsbeamtin (Ego) kann sich so entspannt auf Bekanntes einstellen und findet leicht Referenzpunkte, um sich sicher zu fühlen. Kuala Lumpur war für mich daher eher eine Schatztruhe mit vielen kleinen Entdeckungen und liebenswerten Erkenntnissen. Und es war ein wunderbares Übungsfeld für meinen “Toleranz-Muskel”…
In einer anderen Kultur ist es so einfach und offensichtlich, dass andere Werte den Alltag und das Miteinander bestimmen. Offenheit und die bewusste Entscheidung, immer wieder eine andere Perspektive einzunehmen, sind ein guter Kompass, um sich selbst zu führen. Egal, in welchem Kontext. Den Reality Check empfehle ich als wichtigsten Helfer und kleinen Stopper: “Weißt du mit 100% Sicherheit, dass wahr ist, was du gerade denkst, befürchtest, vermutest oder interpretierst?” – Nein? Dann bleibe entspannt und lass die Bewertung sein. “Aha” als Leitmotiv ist hier die beste Haltung, um die innere Bibliothek und Bildergalerie um neue Erfahrungen zu bereichern.
Do’s and don’ts – oder doch lieber Abenteuer?
Eine Frage der Perspektive und immer subjektiv ist die Chili-Frage. Deshalb: Frage niemals einen Einheimischen, ob das Essen zu scharf sei. Egal, ob ich malaysisches, chinesisches, indisches Essen, oder Thai in Kuala Lumpur probiert habe, es war immer zu scharf. Viel zu scharf. Zumindest für mich!
Tapfer habe ich mich durch Schweißausbrüche während des Essens gekämpft, und zu meinem großen Leidwesen läuft dann auch noch die Nase… Gelernt habe ich, dass es in Asien ein no go ist, sich mit lautem Geräusch die Nase zu putzen. Die Alternativen sind für mich jedoch viel schlimmer: Scheinbar ist alles erlaubt, jedes Geräusch möglich, nur eben leider kein Tempo involviert. Das war hart für mich zu ertragen und ein gutes Training für eine neue Perspektive und dem dazu gehörigen Respekt. Ich finde, Respekt ist etwas anderes als Toleranz, was ich mehr als Erdulden verstehe. Obwohl, ganz ehrlich – hier war es doch mehr ein Aushalten als ein echtes Respektieren. Da war mein “gute Kinderstuben-Wächter” einfach nicht zu überzeugen.
Buko als Topping auf Tee und Insta-Sitzplätze
Ein weiteres Don’t, das mir viel Spaß bereitet hat: Setze dich nicht auf die Plätze, die die besten Instamöglichkeiten bieten. Diese Sitze sehen nur so aus, als ob man sie zum Sitzen und konsumieren der Ware benutzt. Ich musste mich entscheiden, ob ich zum Fotobomber mutiere – dann wäre ich einfach sitzen geblieben und hätte den asiatischen Touristen ihre perfekte Instachance vermasselt. Oder ob ich den Platz mache und diesen modernen Drive Thru aller Instahelden, die hier ihre Trendiness und Zugehörigkeit zur Community demonstrieren und für die Welt verewigen, lieber seiner Bestimmung überlasse. So geschehen bei Machi Machi – einer total angesagten “Cheese Tea Shop – Kette” aus Taiwan – auch als “Cheese Tea God” bezeichnet.
Für mich war es die Tee-Erfahrung der anderen Art: Cream Cheese auf Eistee, Crème Brûlèe auf Schwarztee oder Erdbeertee über Panna Cotta – clever designt und marketingmäßig perfekt inszeniert. Diesen Perspektivwechsel fand ich einfach großartig: Das Prinzip des Latte Macchiattos für Teetrinker übersetzt. Und eine kreative Umkehrung: Beliebte Desserts in flüssiger Form zum Trinken und für alle Anhänger von Bubble Tees (zu denen ich nicht gehöre) die innovative Weiterentwicklung eines Poduktes.
Die geschmacklichen Kombinationen passen wirklich gut und das dazugehörige Konzept ist ein Geniestreich der Marketingpäpste für eine junge Zielgruppe. Die beiden Male, die ich dort war, war ich die einzige Europäerin und vermutlich die Einzige, die älter als 30 war….
Auf meinen Black Milktea with Crème Brûlèe Topping habe ich locker über 30 Minuten warten müssen. Der Brenner, mit dem die perfekte Zuckerkruste gezaubert wird, wollte einfach nicht funktionieren. Für mich wäre das kein Problem gewesen, aber die Aussage “We are here to serve you to Perfection” wurde als Motto über den Servicegedanken der “Schnelligkeit” gesetzt. Wie entspannt ist doch das In-Perfekt… Der Tee hat m.E. das Warten nicht gelohnt, aber es war ein Fest, mir den Hype und die Inszenierung um den Tee mit BukoTopping anzusehen. Ganz nach dem Motto: “It’s not about a drink. It’s a way of Life.” Aha.
Do: Aufnehmen, statt (es) aufzunehmen
Einen echten Perspektivenwechsel habe ich bei meinem kurzen Zwischenstopp im Jewel Center im Flughafen von Singapur gebraucht: Ich hätte fast vergessen, eine fantastische Lightshow wirklich zu erleben und nicht nur durch das Prisma meiner Handykamera aufzunehmen. Und mit aufnehmen meine ich eben nicht das “in mich aufnehmen” und wirklich erfahren, sondern das reine Festhalten per Video. Das “um…zu” (Momente festhalten, um sie teilbar und wiederholbar zu machen) hat mich fast vergessen lassen, dass Erleben mit allen Sinne, im gegenwärtigen Moment geschieht. Das ist nicht wiederholbar und wird kein Video dieser Welt schaffen können. Vielleicht eine neue (?) oder wieder zu entdeckende kostbare Währung: Ein Moment, der nur mir gehört. Ein Augenblick, der nicht mit der Welt geteilt und multipliziert werden kann.
Neue(s) sichten und neue Sichten
Inzwischen bin ich in Australien und alles steht Kopf… Dieser Kontinent ist mir noch völlig fremd und große und kleine Entdeckungen wollen verortet werden. Plötzlich fallen Routinen weg und egal, ob es sich um andersartige Türschlösser, Linksverkehr oder exotische Gewächse handelt – Staunen ist angesagt. Ich lerne Wörtern, wie z.B. “Being croc smart”, die in meiner Welt keine Verwendung haben, hier aber zum Alltag gehören. Zumindest im Northern Territory, wo Krokodile zum Alltag gehören und die Regeln bestimmen. Menschenleere Strände sind hier einfach selbstverständlich und kein Grund für ein “Ohje” – außer von uns Touristen, die anderes gewöhnt sind. Akzeptanz ist der Schlüssel. Ohja!