Durch Zufall bin ich in Newtown (ein Stadtviertel in Sydney) auf das “Black Star Pastry-Café” gestoßen. Mir fiel auf, dass fast alle asiatischen Touristen es auf das gleiche Stück Torte abgesehen hatten: Die Strawberry Watermelon Cake – laut The New York Times “The World’s Most Instagrammed Cake”. Mehr als eine MiIllion Mal wird dieser glutenfreie Kuchen pro Jahr verkauft. Aha!
Ursprünglich wurde sie als Hochzeitstorte konzipiert und so repräsentieren die Zutaten den Geschmack von Romantik – was ich mir anhand der Rosenblüten als Topping so gerade noch vorstellen konnte.
Bei meinem ersten Besuch, als ich meiner Intuition gefolgt bin und in dem kleinen, wirklich entzückenden Café in Newtown gelandet bin, hatte ich keine Ahnung, welche Geschichte dahinter steckt. So war ich völlig unvoreingenommen und frei, meinem Geschmack zu folgen und ich habe mich als Unwissende für einen großartigen Schokokuchen entschieden. Ganz mein Geschmack…
Unbeeinflusst von einer Million Fotos oder Likes bin ich mir gefolgt und so war dieser Ort meine eigene Entdeckung. Für mich hat das eine andere Qualität und einen anderen Wert, als wenn ich einem Tripadvisor-Tipp oder “Must do, Must see, Must have-Trend” folge. Ich finde es kostbarer, da ich ohne Erwartung oder Agenda in diese Erfahrung gestolpert bin. Mir gibt es das Gefühl, dass ich ein kleiner “Marco Polo” bin, der etwas zum ersten Mal entdeckt hat. Dafür braucht es Mut, Selbstbestimmtheit und die Lust auf neue Perspektiven. “Me too” ist in dem Fall nicht die Haltung, die mich weiter bringt. Keine Angst zu haben – in diesem Fall etwas zu verpassen – macht wirklich frei.
Vor meinem zweiten Besuch des Cafés war dann mein Forscherdrang geweckt und ich wollte natürlich wissen, was an dem Hype um diese eine besondere Torte dran ist. Was macht sie so kostbar, dass ein Food-Journalist der New York Times sie in den Kuchenolymp gelobt hat?
Mein zweiter Besuch hatte also eine klare Absicht – und die Magie vom ersten Mal war verflogen. Ich habe mich in die Millionen derer eingereiht, die die “Watermelon Strawberry Cake” auf ihrer Reiseliste hatten und was soll ich sagen: Mich hat sie geschmacklich nicht überzeugt. Da haben die Torten meiner Schwester Eva mich deutlich häufiger in den kulinarischen Kuchenhimmel katapultiert. Vielleicht lag es auch einfach an meiner nun sehr hohen Erwartung, dass ich dem Tortenstar nicht mehr wirklich frei und unvoreingenommen gegenüber eingestellt war.
Erwartungen sind wie eine Packstation mit vielen Fächern, in die der Moment sich einzusortieren hat. Aber bitte genauso, wie bestellt und vorgestellt! Um mir und meinem Er-Leben mehr Raum zu geben, übe ich mich darin, im Moment zu sein und die Situation wahr- und anzunehmen. Mein Reisemotto “Aha statt Ohje” hilft mir dabei und lässt mich gelassener sein.
Ich schätze diese innere Freiheit sehr – meine eigene Spur zu legen, mir intuitiv selbst zu folgen und Erfahrungen zu machen, die ich nicht durch Planung und Kontrolle herbeiführe. Bitte verstehe mich richtig: Es ist wunderbar, den Tipps anderer zu folgen. Es macht das Leben leichter und natürlich tue ich das auch. Und es ist natürlich eine große Zeitersparnis, anhand einer Liste, die Welt zu erkunden. Damit meine ich nicht nur den besonderen Moment des Reisens, sondern genauso den (Berufs-)Alltag. Gleichzeitig engt sie ein und beschränkt uns in neuen Erfrahungen, die aus dem Moment heraus spontan entstehen. Kontrolle und “Ich will…” waren lange Zeit meine Weggefährten und natürlich haben sie mich weit gebracht. Unter anderem aber auch in einen Burn Out mit Ende Zwanzig.
Für mich besteht beim Reisen (und im Alltag) wahrer Luxus darin, so viel Zeit und Freiraum zu haben, dass ich mich ungezwungen treiben lassen kann. So ergeben sich neue Erlebnisse, weil der Moment sich frei von Erwartungen (meiner eigenen und der anderer) entfalten kann. Intuition ist hier mein Leitstern. Es ist das gleiche Prinzip wie in meinem Format der CoEvolution. Auch dort lassen wir gemeinsam das Potenzial, die Idee oder Lösung entstehen, die sich zeigen will – jenseits des Minds und der rationalen Kontrolle. So entstehen wirklich neue Möglichkeiten und Erfahrungen.
Dieses Miteinander Wirken ohne Agenda, den Zwischenraum auszuloten, ist etwas Neues. Die Wenigsten werden das in ihrem Arbeitsumfeld bisher erlebt haben. Es ist, als ob man plötzlich und unerwartet vor einer Schatzkiste steht und staunend auspackt, was da so alles drin steckt. Damit es dazu kommen kann, brauchen wir einen Freiraum, keine Agenda, dafür aber Entdeckerfreude. Ich nenne es die Marco-Polo-Haltung. Sie ist der beste Navigator, um Neues zu entdecken und zu schaffen.