Und plötzlich war er da. Als ich vor ein paar Monaten gemalt habe, tauchte der schwarze Schwan im Zusammenspiel von Formen und Farben plötzlich auf der Leinwand auf. Wenn ich male, dann geschieht das ohne Absicht. Ich habe keine Agenda oder Vorstellung davon, was ich malen möchte. Ich nehme mein Ego raus und lasse mich malen. So treten die Farben, die ich auf die Leinwand bringe, in einen Dialog miteinander. Wenn das Werk bzw. unser Dialog miteinander vollendet ist, fühle ich es. Wenn nicht, dann übermale ich das Bild beim nächsten Mal. Für mich ist das Malen in der Form eine der besten Übungen im Lassen: Sein lassen, loslassen, geschehen lassen. Manchmal erkenne ich im Nachhinein Tiere in meinen Acrylbildern.
In der schamanischen Arbeit spielen Krafttiere eine große Rolle und sie sind symbolische Boten und Helfer für uns. Seitdem ich meine Intuition verfeinert und das mir ureigene Heilungswissen geschult und wieder entdeckt habe, häufen sich solche „Zufälle“. Immer wieder begegnen mir in der realen und in der Traumwelt bestimmte Tiere als Botschafter und ich lasse mich von ihnen inspirieren. Natürlich war ich verwundert, da der schwarze Schwan, soviel wusste ich, als Unglücksbote gedeutet wird.
Der Begriff „black swan“ ist eine Metapher für ein unwahrscheinliches, aber nicht unmögliches Ereignis. Entstanden ist der Ausdruck in dieser Bedeutung Ende des 17. Jahrhunderts. Man war sich sicher, dass es nur den in Europa bekannten weißen Schwan gibt. Als Seefahrer in Australien schwarze Schwäne entdeckten, war dies eine kleine Sensation. Den Begriff, so wie er heute in der Wirtschaft genutzt wird, wurde 2007 von Nassim Nicolas Taleb in seinem Buch „Der schwarze Schwan: die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“ geprägt. Das, was bisher normal war, wird es nach diesem Vorfall nicht mehr sein. Umwälzungen und Veränderungen mit großer Tragweite sind die Konsequenz.
Da ich kurz vor meiner großen Australienreise stand, habe ich den schwarzen Schwan trotzdem sehr freudig begrüßt: Er ist das Wappentier von Westaustralien. Ich habe es als Willkommensgruß gedeutet. Heute frage ich mich, ob mir meine Intuition schon lange vor der Corona-Krise ein Zeichen senden wollte, mich auf ein Jahr mit großen Herausforderungen und Veränderungen aufmerksam zu machen. Und mich dafür zu stärken. Der schwarze Schwan nicht als Unheilsbringer, sondern als Wegweiser neuer Möglichkeiten! Die COVID-19 Krise hat weitreichende Konsequenzen und einen immensen Einfluss auf unser Leben und Tun. Das, was bis dahin normal und selbstverständlich war, ist es in vielen Bereichen heute nicht mehr. Dennoch gehen die Meinungen auseinander, ob diese Pandemie als ein schwarzer Schwan bezeichnet werden kann.
Erlebe ich gerade eine persönliche Katastrophe mit ungewissem Ausgang? Ich weiß es nicht. Meine berufliche Tätigkeit als Trainerin liegt seit Mitte März auf Eis. Die Pausentaste ist gedrückt. Aber auch wenn mein Business brach liegt, kann und möchte ich diese Krise als einen Zeitraum für Wandlung und neue Möglichkeiten wahrnehmen. Natürlich begegnen mir meine Sorgen und Ängste. Es gibt Tage, da könnte ich den Putz von den Wänden kratzen. Oder den Kopf in den Sand stecken und laut mit den Zähnen knirschen… Manchmal bin ich total genervt, weil ich nicht kann, wie ich will. Dann fällt mir ein (oder ich werde liebevoll daran erinnert), dass ich meine Gefühle zu einer Situation selbst bestimmen kann. Immer dann, wenn ich mich entscheide, mit welcher Perspektive ich meine derzeitige Situation betrachte. Durch die gesetzlichen Bestimmungen und Beschränkungen ist mir ein Stück Freiheit genommen. Daran kann ich nichts ändern. An meiner Haltung und Bewertung der Situation schon. Ich beschließe, die Situation anzunehmen und darauf zu vertrauen, dass daraus etwas Neues, Größeres und Positives wachsen wird. Für mich ganz persönlich und auch für uns als Gesellschaft.
Im Schamanismus steht der Schwan als Krafttier für Schönheit, Verwandlung und Integration, für Kraft und Intuition. Wenn der weiße Schwan erscheint, geht es um positive Wandlung. Es ist die Aufforderung beharrlich meinem Seelenweg zu folgen – auch wenn zunächst kein Erfolg sichtbar ist. Im Falle eines „black swan“ gilt dies auch. Vielleicht mehr denn je!
Ja, Veränderungen sind schmerzhaft. Das unsanfte Herausgestoßen werden aus der geliebten Komfortzone ist unbequem und nervt. Und dennoch war es bisher in meinem Leben so, dass ich durch Krisen gewachsen bin. Manchmal musste ich unsanft geschubst werden, um eine neue Richtung einzuschlagen oder einen neuen Weg zu gehen. Am Ende war es immer kostbar. Meinen schwarzen Schwan verstehe ich daher als Wegweiser und Reminder: Mit Eleganz, Kraft und Zuversicht den Umständen zu begegnen. Ich bestimme selbst, wie ich eine Situation bewerte. Das ist Freiheit. Und diese kann mir niemand nehmen. Ich weiß nicht, wie es weitergehen wird. Ich kann nur mit Neugier und Vertrauen in meine eigene Zukunft schauen und ich trage meinen Teil dazu bei, um diese zu gestalten. Vor allem übe ich mich darin, gelassen zu bleiben. Auszuhalten, dass etwas unvorhersehbar ist. Die Illusion loszulassen, dass ich Umstände kontrollieren kann. Ich entscheide, ob mich eine Krise aus der Bahn wirft, ob ich schockstarr werde oder ob meine Haltung flüssig – im Sinne von flexibel – bleibt. „Aha“ ist der Schlachtruf, den es für diese Situation braucht.
Nein, es fällt mir nicht immer leicht und manchmal fällt es mir erst später ein, dass „Aha“ der bessere Gefährte ist. Aber in jedem Training gibt es den Moment, in dem das Üben (noch) mit Anstrengung verbunden ist, bevor es leicht wird. Mir schwant, dass ich im Rückblick dankbar und mit neuem Verständnis erkennen werde, wozu diese Zeit für mich gut war. Dienen wird es mir auf jeden Fall. Denn Evolution braucht Brüche – oder Sprünge, um weiterzukommen.