Voll vermasselt... Und dann? - Die Evolutionistin - Martina van der Veer

Voll vermasselt… Und dann?

Voll vermasselt… Und dann?

Was tun, wenn auch der zweite erste Eindruck missglückt ist? Und der dritte auch… Leider bin ich diejenige, die diesen blöden Eindruck hinterlassen hat.

Vor ein paar Monaten sind neue Nachbarn über mir eingezogen. Über zehn Jahre stand diese Wohnung leer und ich hatte den ungewöhnlichen Luxus, in meinem Büro und meinen Lebensräumen Stille für mein kreatives Arbeiten zu genießen. Nachdem ich die monatelangen Sanierungsarbeiten mit viel Lärm und Dreck tapfer ertragen habe, war es soweit: meine neuen Nachbarn nahmen ihr Domizil in Besitz. Der Wohnungsgott hatte sich für eine junge Familie mit Kleinkind entschieden. Und ja, ich gebe zu, ich hatte ein wenig Sorge, wie mein Leben und Arbeiten in Zukunft wohl sein würden.

Mir ist ein gutes Miteinander sehr wichtig und so habe ich sie mit einem kleinen Willkommensgeschenk in der Hausgemeinschaft begrüßt. Leider fiel mir nichts Besseres ein, als sofort meine gesamten Bedenken in Bezug auf Lärm und Störungen während meiner Coachings zu thematisieren. Meine neuen Nachbarn waren noch nicht einmal ganz eingezogen, begegneten mir aber sehr verständnisvoll und entgegenkommend.

Dummerweise ist es mir passiert, dass ich bei unserem nächsten Treffen kein anderes Thema hatte, außer ausführlich aufzulisten, welche Geräusche ich alle höre – vom Quietschen der Tür, zum Scharren der Stühle auf dem Parkett bis hin zum wohlklingenden Gesang meines Nachbars. Zu dem Zeitpunkt wohnten meine Nachbarn erst wenige Tage über mir. Ich habe mir dabei nichts weiter gedacht und wollte nur mitteilen, wie hellhörig dieser Altbau leider ist. Ohje…. In diesem Fall trifft das Wort, denn das „Aha“ hat ein paar Monate gebraucht, um bei mir anzukommen.

Normalerweise bin ich feinfühlig genug, um mitzubekommen, wenn ich über das Ziel hinaus schieße. Nicht so in diesem Fall. Natürlich ist es für mich eine riesige Umstellung, nach so vielen Jahren des Ungestörtseins, jetzt an einem lebendigen Familienleben ungewollt teilzuhaben. Einem Teil in mir war bewusst, dass jetzt meine Haltung von Gelassenheit gefragt war: „Es ist, wie es ist!“ Dankbarkeit für den Luxus vieler stiller Jahre und Entspanntheit im Umgang mit der neuen Situation waren angesagt. Meistens ist es mir gelungen und ich fand es sogar liebenswert, wenn das Kind oben tobte oder mit passendem Soundtrack fangen gespielt wurde.

Vermutlich sind wir uns darin einig, dass die direkt über meinem Schreibtisch und während eines Skype-Coachings stattfindende Sportsession doch eher störend ist. Heute denke ich: Das sind die Momente, die es wert sind, dass man es anspricht und nach einer Lösung sucht. Auch hier waren meine Nachbarn wirklich sehr hilfsbereit und verständnisvoll, und haben auf meine Situation Rücksicht genommen. Im Nachhinein betrachtet erkenne ich, dass mein Ego der Meinung war, das gehört sich so. Man nennt das selbstgerecht und es hätte ein Augenöffner für mich sein sollen.

Noch immer bin ich ein bisschen fassungslos, wie wenig gelassen ich mit dieser Lebenssituation scheinbar doch umgegangen bin. Aufgrund meiner inneren Überzeugung des “Rechthabens” war meine Wahrnehmung total einseitig. Ich konnte nicht (ein)sehen, dass ich für die doch sehr überschaubaren Störungen auch dankbar sein könnte. Es hätte viel schlimmer kommen können! Dennoch – an einer Stelle war es mir dann doch zu viel: Nach einigen Wochen des Aushaltens, war ich es leid, morgens gegen sechs Uhr durch Klopfgeräusche geweckt zu werden. Welche Bau- oder Spielvorhaben des jüngsten Familienmitglieds auch immer die Ursache dafür gewesen sein mögen. Ich habe mir ein Herz gefasst, meine Nachbarn daraufhin anzusprechen. Natürlich freundlich und mit einer Bitte, keiner Forderung. Aber wie das mit Kommunikation und Wirkung so der Fall ist: Wirkung ist subjektiv. Mein Anliegen war wohl der berühmte Tropfen, der das nachbarliche Fass hat überlaufen lassen.

Was soll ich sagen: Aua! Die Sicht meiner Nachbarn auf den Punkt gebracht, war schmerzhaft für mich. Wenn ich mich in ihre Situation hineinversetze und rückblickend auf mein Verhalten schaue, muss ich leider zugeben, dass ich diese Situation gar nicht gut gehandhabt habe. Anstatt gelassen erst einmal die Situation auf mich zukommen zu lassen, herauszufinden, welcher Lärm es für mich wirklich wert ist, angesprochen zu werden, bin ich gleich mit der Tür ins Haus gefallen. Leider nicht nur einmal. Sondern jedes Mal, wenn ich meinen Nachbarn begegnet bin, habe ich anscheinend die Botschaft gesendet: „Ihr stört. Ihr macht da etwas falsch.“

Die Argumentation meiner Nachbarn, dass sie in ein Wohnhaus gezogen seien und dort leben, war für mich der Wendepunkt. Sie haben Recht und ich konnte mich mit voller Überzeugung entschuldigen. Ich fand mich selbst ziemlich blöd für mein Verhalten und hätte mir gewünscht, damit besser umgegangen zu sein. Dennoch: Was ist schon passiert? Meine Nachbarn fanden mich doof. Das geht mir auch manchmal so… Alleine diese Erkenntnis entspannt ungemein. Ehrlich: So nimmst du dir (deinem inneren Rechthaber) und deinem Gegenüber liebevoll den Wind aus den Segeln. Wir sind uns in diesem Punkt einig: Das war blöd. Auch wenn es unangenehm ist, dieser Augenöffner hat mir geholfen, mich selber und diese Situation anders betrachten zu können. Dafür bin ich dankbar und auch froh, dass meine Nachbarn mir ehrliches Feedback gegeben haben. Konflikte sind niemals schön. Letztlich sind es immer unterschiedliche Bedürfnisse, die aufeinander prallen.

Jetzt heißt es loslassen und wieder in Frieden mit mir zu sein. Es ist okay, auch als Kommunikationstrainerin und Expertin für ein gutes Miteinander, ab und zu total daneben zu liegen. Das Wesentliche ist, es einzusehen und dann damit umzugehen. Und mir selbst zu verzeihen. So ist das mit den Lektionen. Manchmal sind sie schmerzhaft und wenig schmeichelhaft. Oder als Kurzformel: Shit happens!